Nachdem Flederflausch, die inzwischen bereits vier Young & Cold Festivals besucht hat, im letzten Jahr mit Svartur Nott Tagebuch führte, treibt sie sich dieses Jahr unter anderem mit Paul herum, um Eindrücke und Erinnerungen aufzuschreiben. Neben den musikalischen Darbietungen geht es auch um die Geschichte, warum es ohne Skinny Jeans keine Gruftlocke gibt.
Paul: Augsburg, der konsequent wavige Außenposten
Ein Fabrikhof voller Gestalten mit sehr korrekt toupierten Frisuren in Lederjacken, Mänteln, Ballonhosen, Pikes, mit Buttons und vielen, vielen Aufnähern, in kunstvoll zerschnittenen Hemden und ein Patchouligeruch der sich mit dem Duft von Frittierfett mischt. Das kennt der Szenegänger aus dem Werk II oder, ohne Duft, von Fotos aus der guten alten Zeit. Auf jeden Fall muss man aus dem Süden normalerweise lange fahren um eine Veranstaltung mit diesem Publikum zu finden. Außer natürlich das Young&Cold in der Ballonfabrik Augsburg, der konsequent wavige und undergroundige Außenposten im Süden, immer zurecht ausverkauft. Auch wenn es von Stuttgart nur eine gute Stunde mit dem ICE ist, kommt man normalerweise nicht rechtzeitig zum ersten Konzert. Das ist ganz wie beim WGT. Die rituelle Vorbereitung zum Klang von feinstem Wave und leichtem Haarspray-Klackern gehört dazu. Gerüchten zu Folge mischen gewisse Menschen dann Pfef mit Absinth und plötzlich ist es „Wir müssen JETZT los oder wir verpassen die letzte Band“-spät. Auf dem Weg zur Ballonfabrik kann dann nichts mehr schiefgehen außer ein Trupp Katzenfan-Gruftis erspäht eine Katze, nimmt die Verfolgung auf und versucht sie zu streicheln. Vermutlich kommen daher die Gerüchte vom katzenfressenden Schwarzkittel. Irgendwann ist man dann dort und kann das Festival genießen. Um die Feuertonne, die hier ein Ofen ist, trift man ersten Freunde und Bekannte.
Flederflausch: Ohne Schkinny Scheans keine Gruftlocke
Der September ist mir mittlerweile neben Pfingsten ja die liebste Jahreszeit. Da habe ich immer nochmal Urlaub, vor allem habe ich diesen Urlaub aber wegen dem Young&Cold Festival. Seit dem ersten Mal begeistert freue ich mich jedes Jahr, nachdem der WGT- und GPP Blues vorbei ist, immer nochmal extra. Die Karten hängen schon seit dem Frühjahr an der Pinnwand und bevor das Jahr kalt und dunkel wird und ich mich am liebsten mit Tee und Essen im Bett verkrieche, gibt es dort die Gelegenheit, nochmal die Pikes und andere Tanzschuhe rauszuholen, bevor man sich darin die Füße abfriert.
Vor dem Erfrieren habe ich ja eh immer Angst, deswegen reise ich mit einer gefühlten Tonne Gepäck. Dieses Jahr komfortabel mit Max, der sich bereiterklärt hat extra einen Schlenker zu fahren um mich aufzusammeln. Luxus! Dass ich ein ganz schlechter Beifahrer bin beichte ich ihm erst beim einsteigen. Aber scheinbar hab ich mich gut im Griff und mit Musik und einem guten Tratsch geht die Fahrt schnell vorbei. Nicht nur zwecks Anreise wurde mir dieses Jahr Luxus zu Teil, Micha von Young & Cold Team gewährte mir auch noch Asyl und in seiner wunderbar gruftig-alt-dunkel-eingerichteten Wohnung mit schöner Musik, bringe ich Haare und Schminke in Form.
Adam Usi spielte am Donnerstag als erster Act im City-Club Augsburg auf und lieferte einen stilechten Start in das Festival. Auch weil ich vorher noch Marc, den ich letztes Jahr auch dem Y&C kennengelernt hatte, traf und gleich noch Flora und Julius kennen lernte, mit denen ich noch lustige Stunden verbringen sollte. Aber zurück zur Musik, Adam Usi war toll. Mitreißend. Emotional. Schön. Einfach gut. Der City Club dafür viel zu warm und der Regen draußen viel zu kalt und Psyche eh nicht so mein Ding. Aber was soll’s. Ich verquatsche mich ja eh immer. War dann auch so. Im strömenden Regen drängten wir uns unter die Markise, wurden trotzdem nass, aber verbrachten einen wundervollen Abend, den wir noch mit ausgiebigem Tanzbein schwingen verbrachten, bis uns die Müdigkeit überkam und die DJs irgendwie auch nennen wir es „experimentell“ wurden.
Irgendwie recht zerknautscht blieb nicht viel Zeit zum Müßiggang und für gediegenes Musikhören an der Heimanlage – wir mussten dann irgendwie doch recht schnell los. Mein Gefühl bei der Abfahrt etwas vergessen zu haben hatte mich dummerweise nämlich nicht getäuscht, ich hatte die Leggings vergessen und ohne Leggings war mir kalt und mit kalt war ich mimimi. So habe ich aber gleich eine nette Stadtführung bekommen und eine Leggings gefunden, die cooler nicht hätte sein können. Abends fanden wir uns dann bei Marc, Flora und Julius ein, wurden bekocht und becocktailed und stritten uns darüber, ob Baden-Württemberg für Gruftis nun ein lebenswertes Fleckchen Erde ist oder nicht. (Ich bin ja der festen Überzeugung dem ist nicht so, Marc kam aus der Lobhudelei fast nicht mehr hinaus).
Wie dem auch sei, die erste Band lockte und auf dem Weg gab es noch schnell ein trashiges Unterführungsselfie. Bragolin taten dann das Übrige um dem Abend einen würdigen Auftakt zu verleihen. Wunderbar. Edwin und Maria ließen sich von ihrer Musik mitreißen und das Publikum folgte auf dem Fuß. Plastikstrom waren hingegen so gar nicht mein Fall und so fand ich mich mit Mecky und Hanne (die ich zu meiner Schande zuerst fast nicht erkannte), sowie mit Alex (Svartur Nott), der letztes Jahr mit mir den Rückblick auf’s Young&Cold geschrieben hatte, an der Feuertonne vor Ballonfabrik wieder.
„Was ist das denn? Die Hose über den Pikes?“ Mecky ist entrüstet. „So mache ich dir morgen nicht die Haare, Alex!“ „Die Skinny Jeans ist in der Wäsche!“ verteidigt sich dieser. Wie man nur eine Skinny Jeans haben kann, will ich fragen. Was rauskommt ist: „Du brauchst mehr Schkinny Scheans“ und schon sind wir vor lachen nicht zu halten. Ohne Schkinny Scheans keine Gruftlocke. Und Mecky ist nun mal Experte was Gruftlocken und toupieren angeht. Erbarmt hat er sich am nächsten Tag dann trotzdem. Vielleicht hat ihn die Reise durch den Äther zu den vielen bunten Planeten milde gestimmt. Neben dem ganzen Gequatsche, habe ich es dann doch noch geschafft Kriistal Ann zu sehen. Hatte ich anders in Erinnerung, gut war sie trotzdem. Durchaus mit Atmosphäre und mit einer unglaublich kraftvollen Sängerin.
Paul: Wo „familiär“ noch keine Floskel ist
Neu war dieses Jahr ein veganer Essensstand. Das ist eine klasse Neuerung, weil man in dieser Ecke Augsburgs sonst spät abends nichts mehr bekommt. Dort konnte der auch von mir stets benötigte Kaffee bezogen werden. Das Essen war lecker und die Preise waren fair. Dass ein Festival familiär sei, ist eine sehr bemühte Floskel. In Augsburg stimmt das aber, man kann mit den Künstlern einen Schwatz halten und und lernt spielend neue Leute kennen. Die Atmosphäre ist freundlich und ohne das „Schaulaufen“ eines WGT oder GPF. (Und hier gibt es Tageskarten.) Man sieht auch ganz dezent schwarz gekleidete Besucher. Drinnen gibt es gutes Bier, eine interessante Deko und einen sehr zu lobenden Merchstand, wo man vom Rückenbeutel bis zur LP alles erstehen kann. Wie der Festivalmacher und Inhaber von Young&Cold Records Marcel Leidenroth (DJ Bat) versichert, passen die LPs auch in die Tragebeutel. Das auszuprobieren und kräftig einzukaufen lohnt sich, denn die Musikauswahl auf der Bühne und auf CD/LP und Kassette (ja, wirklich) ist hochkarätig und international. Dieses Jahr konnte man Adam Usi, Psyche, Kriistal Ann, Plastikstrom, Bragolin, El Deux, Paradox Obscur, Detachments, Werther Efekt und Paar sehen. Ja genau DIE „El Deux“ aus der Schweiz. Zwei ältere Herren mit unglaublicher Spielfreude die nicht so recht glauben konnten, dass ihre Musik immer noch Menschen begeistert. Echtes 80er-NDW-Urgestein. Die Musikauswahl umfasst das ganze Spektrum des Wave, mal mehr gitarrig, mal mehr elektronisch. Nach den Konzerten gibt es eine Aftershowparty mit Djs des Labels und Gästen, dieses Jahr standen Djs vom GPF am Mischpult
Flederflausch: Alex hatte die Haare schön!
Samstag waren wir dann im Stress. Immerhin traf man sich schon um 14 Uhr beim Augsburger Dom um stilvoll mit Wein und guter Musik dem Austausch zu fröhnen und dem Stadtbild einen schwarzen Anstrich zu geben. Viel Zeit gab es für ausführliche Gespräche und Kennenlernen, für einen guten Austausch in entspannter Atmosphäre – auch wenn viele wohl der Müdigkeit erlegen sind. PAAR waren als erste Band dann ein wunderbarer Einstieg in den letzten Festivaltag, irgendwie entspannend die ganze Sache. Auch die Damen von Werther Effekt brachten das Publikum in Wallung. El Deux habe ich mit Gesprächen eingetauscht. Einfach nicht mein Fall, aber die beiden Herren schienen richtig Spaß zu haben, endlich mal wieder auf der Bühne zu stehen. Detatchements brachten wieder etwas Bewegung in meine Füße. Und Alex hatte die Haare schön. Mecky sei dank! Das wunderbare Highlight waren dann Paradox Obscure. Der Song „A different Hum„, hat mich immer noch nicht losgelassen und läuft bei mir seitdem rauf und runter.
Flederflausch und Paul mit ihrem Fazit und vielen Bildern!
Paul: Die Musikauswahl der Party füllt die Tanzfäche, man hört Neues, Bekanntes aller nötigen Stilrichtungen. So ging der erste und der zweite Abend auch schnell rum. Auf mit WGT gemein ist, dass ich mit einer gewissen Trägheit in den Knochen heimfahre. Im Kopf habe Erinnerungen an tolle Menschen, im Gepäck neue Musik und es stellt sich die Frage „Warum geht sowas nicht in Baden-Württemberg?“. Liegt es am Pietkong, der (zum Glück) in anderen Bundesländern fehlt und der sehr kreativ bei der Verhinderung von Subkultur ist? Egal, es sind nur anderhalb Stunden zum Y&C. Bis zum nächsten Mal!
Flederflausch: Müde und erschöpft fanden wir uns am Sonntag zum Abschlussessen in einem indischen Restaurant, bevor auch schon wieder die Heimreise anstand. Erschöpft sank ich zu Hause mit der Katze ins Bett. Meinen neuen Lieblingssong „A different hum“ noch im Ohr.
Der Artikel "Young & Cold Festival-Bericht: Ohne Schkinny Scheans keine Gruftlocke" ist ursprünglich bei Spontis erschienen.